1. August 2023

91 Stunden und 265 Kilometer zwischen Halluzinationen und Glücksgefühlen: Der Eiger Ultra-Trail E250 in der Schweiz

Event-Typ
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Distanz
Datum

250 Kilometer auf unmarkierten Trails durch die Schweiz? Schnapsidee? Ja - vielleicht. Und vielleicht auch eine verdammt gute Idee. Simone und Judith von Trailrunning24 haben das Abenteuer ihres Lebens gewagt.

Der Eiger Ultra Trail. Im Rahmen dieses etablierten Laufevents in der Schweiz mit Wettbewerben über unterschiedliche Distanzen fand auch die zweite Auflage des E250 – UNESCO Jungfrau-Aletsch Trails statt. Er bietet erfahrenen Trailläuferinnen und -läufern die Möglichkeit, imposante Bergketten, urige Täler und das größte zusammenhängende vergletscherte Gebiet der Alpen zu entdecken. Die Herausforderung besteht darin, die 250 Kilometer lange Strecke mit 18.000 Höhenmetern im 2er oder 3er Team zu umrunden.

Mit Cut-Off-Zeiten auf der Strecke und einem maximalen Zeitlimit von 95 Stunden, führte die Route E250 die Teams vorbei an bekannten Namen wie Sefinafurgga, Hohtürli bei der Blüemlisalphütte, Gasterental und Lötschepass, Suonenwege im Wallis, Blatten-Belalp, Aletschgletscher, Fieschergletscher, das Goms und schließlich über den Grimselpass, Haslital und Rosenlaui zurück nach Grindelwald. Die gesamte Strecke muss nach GPX-Track abgelaufen werden, es gibt keine Markierung seitens des Veranstalters. Entlang der Strecke befinden sich Life Bases, in denen sich die Athletinnen und Athleten verpflegen und ausruhen können. Der Wettkampf findet teilweise in Autonomie statt, was bedeutet, dass alle Teilnehmenden zwischen den Verpflegungs- und Kontrollposten selbstständig für ihre Verpflegung, Ausrüstung, Orientierung und Sicherheit verantwortlich sind. Aus Sicherheitsgründen wird die Umrundung des UNESCO-Welterbe Swiss Alps Jungfrau-Aletsch ausschließlich im 2er oder 3er Team durchgeführt. Unsere TR24-Mädels Judith und Simone waren dabei.

„Warum meldet man sich denn bitte freiwillig auf so einer Distanz an??“

Diese Frage wurde uns im Vorfeld oft gestellt, im Nachhinein noch viel öfter. Und wir haben uns diese Frage selbst auch gestellt – davor, während und danach.

Es ist wohl eine Mischung aus: Ich will etwas Neues erleben, ich will mich meinen Ängsten stellen, ich möchte mich einer komplett anderen Herausforderung hingeben, unklar, ob es klappt oder nicht. Als Team wollten und mussten wir diese Aufgabe bewältigen. Denn eines ist sicher: allein wäre wohl keine von uns beiden im Ziel angekommen.

Motivation ist die eine Seite, aber sicherlich gab es auch einige Selbstzweifel. Keine von uns beiden stand bis dato beim Eiger Ultra Trail E250 an der Startlinie. Er war Neuland für uns. Und wir als Team waren ebenfalls Neuland. Wir sind noch nie zusammen auf den Trails unterwegs gewesen. Die Zweifel im Vorfeld waren deshalb mehr als berechtigt.

Dazu kamen die persönlichen Zweifel. Bin ich dem gewachsen? Wie gehe ich mit meiner Höhenangst um? Wie wirkt sich der Schlafmangel und die körperliche Erschöpfung aus? Denn Leistung wird trotz allem permanent abverlangt werden. Auch die 30-jährige Mehrerfahrung im Laufen von Judith war für Simone nicht ohne.

Wegpacken, umpacken, einpacken, auspacken

Unsere Nerven lagen schon vor dem Lauf blank. Die Organisation, Koordination und Vorbereitung im Vorfeld waren immens. Gefühlt haben wir drei Wochen lang gepackt – eingepackt, ausgepackt, umgepackt, wieder weggepackt. Verpflegung, Bekleidung, technisches Gerät… Alles wurde mit dem obligatorischen Material gemäß Wettkampfreglement abgeglichen, gewogen und neu gepackt. Sieben Dropbags, die an den jeweiligen Life Bases deponiert werden konnten, mussten extra gepackt werden. Packlisten, wie wo was rein soll, halfen uns nur bedingt, den Durchblick zu bewahren. Letztendlich sind wir Zwei mit 80kg Gepäck mit der Deutschen Bahn angereist.

Doch genau diese Challenge wollten wir. Auch wenn wir auf Unterstützung von Familie und Freunden zählen konnten, wollten wir keine Entourage an Helfern und Helferinnen um uns herum.

Der Startschuss fiel am Mittwochmorgen um 10.00 Uhr. Aufgrund der gemeldeten starken Gewitter für den ganzen Tag und die komplette Nacht wurde tags zuvor eine neue Strecke kommuniziert, die auf den ersten 40 Kilometer dementsprechend entschärft wurde. Wir würden nicht über den Stechelberg nach Kandersteg laufen, sondern auf geringerer Höhe über Interlaken, was 11 Kilometer Umweg bedeutet, dafür waren es 1100 Höhenmeter weniger. Ebenso verschob sich der Start um zwei Stunden nach hinten. Die Cut-Off-Zeiten wurden beibehalten.

Die Unwetterfront holte uns schnell ein – Regengüsse, mal mehr mal weniger, Hagelstürme mit Hagelkörnern so groß wie Murmeln schossen vom Himmel. Gott sei Dank waren wir in unmittelbarer Nähe eine Hütte, die wir zum Unterstellen nutzten. Es gab eine offizielle Rennunterbrechung seitens des Veranstalters. Also warten. Als wir den Lauf nach einer Dreiviertelstunde fortsetzen konnten, blieb es trotzdem nass und die Blitze zuckten weiter.

Aus Zwei mach Drei – Neuzugang im Team

Klitschnass kamen wir nach 61 Kilometern und knapp 5000 Höhenmetern weit vor Mitternacht an der ersten Life Base in Kandersteg an. Hier konnte man medizinische Hilfe, sowie Dusch- und Schlafmöglichkeit in Anspruch nehmen. Wir legten uns erst einmal trocken und plünderten das Buffet an Leckereien. Teller und Besteck, die Teil der Pflichtausrüstung waren, konnten im Rucksack bleiben; hier gab es Porzellan. Unter anderem für Nudeln mit Tomatensoße, Brühe, Kuchen und starken Kaffee. Die Kalorien taten gut. Danach legten wir uns einfach in eine Ecke auf den Boden der Aula, um 20 Minuten zu ruhen. Stirnband über die Augen. Kurz vor unserem Aufbruch schloss sich Stephan als Neuzugang unserem Team an, da sein Laufpartner ausgestiegen war.

Fortan zu dritt, ging es wieder raus in den nächtlichen Regen. Stirnlampen sowie einen halben Elektrofachmarkt an Akkus, Powerbanks und Ladekabeln trugen wir als obligatorisches Material gemäß dem Wettkampfreglement während der gesamten Strecke mit uns.

Der Anstieg über den Lötschenpass zur Life Base in Jeizinen zog sich; wir beschlossen, erst dort eine längere Pause zu machen. Zum Sonnenaufgang hatte der Regen nachgelassen und wir liefen durch die Steinwüste und über mehrere Schneefelder – die Aussicht war gigantisch! Zudem galt es, einige Passagen am Seil die Felsen hochzuklettern, das hielt uns wach. Nach einem Zwischenstopp in der Lötschenpasshütte, wo ein paar Schweizerinnen gerade ihr Frühstück einnahmen, während wir uns erneut auf einen Teller Nudeln stürzten (und uns fragten, welchen Tag wir mittlerweile hatten…) erreichten wir Jeizinen.

Dort gab es auf Wunsch geschälte oder Pell-Kartoffeln mit Raclettekäse, und einen Rundum-Service. Die Sonne knallte mittlerweile vom Himmel. Nach dem Umziehen und Essen wollte Simone nur noch schnell eine Tasse Kaffee trinken und fand sich prompt auf der Massageliege wieder. Was für ein Wellnessprogramm. Kurz die Beine durchkneten und Knie tapen lassen – fast wie neu geboren ging es zurück auf den Track. Judith hat zwischenzeitlich alle Technik-Akkus geladen und Klöhnschnack mit anderen Teams gehalten. Hände und Füße hatten dabei nicht wirklich Pause, denn nicht alle konnten sich auf Englisch verständigen. Insgesamt waren über achtzig Nationen beim Eiger Ultra Trail am Start.

Hurra, wir waren angekommen im Wallis. Gefühlt 25 Grad wärmer, somit 35 Grad, brannte die Sonne in Südhanglage auf uns nieder. Schatten war fast keiner vorhanden. Tempo auch nicht. Simone hatte mit dem Kreislauf und der Hitze sehr zu kämpfen. 7,8 Kilo auf dem Rücken machten sich bemerkbar und die Getränke wurden langsam knapp. Jeder Dorfbrunnen wurde mitgenommen, leider gab es davon nicht sehr viele. Die Kalorien waren schneller verbraucht, als wir sie oben rein bekamen. Manchmal haben wir uns gefragt, wie viel Placebo-Packungen Powergums und Powerriegel man eigentlich erwischen könne. Wir schlängelten uns den Hang weiter nach oben in Richtung Finnen. Dort wartete mit Einbruch der Nacht zumindest eine Verpflegungsstation, die zwar kein warmes Essen aber immerhin Getränke bereitstellte. Eingehüllt in Decken und unseren Daunenjacken, die Teil der Pflichtausrüstung waren, erholten wir uns nur kurz, da wir im Sitzen ziemlich auskühlten. In Anbetracht der Tatsache, dass es die nächsten sechs Stunden bergauf gehen wird, beschlossen wir, dies durch die Nacht zu tun und an der Life Base in Belalp am Morgen etwas länger Pause zu machen und ein bisschen Schlaf zu finden.

Die zweite Nacht, die ersten Halluzinationen 

Es war die zweite Nacht, die wir nun durchliefen bzw. wanderten. Das Tempo wurde langsamer, der Hunger blieb, trotz Energiezufuhr. Die Müdigkeit übermannte uns immer mehr. Wir fingen an zu halluzinieren, sahen Sachen, die eigentlich gar nicht da waren, mussten uns zusammenreißen, dass wir nicht im Stehen einschliefen. Die Müdigkeit kam ohne Vorwarnung immer wieder.

Irgendwann dämmerte es. Wir waren fast oben in Belalp, der Sonnenaufgang hat nicht lange auf sich warten lassen. Wie schön er war. Und dazu diese Kulisse! Die schwarze Gipfelkette wurde von hinten rotgelb erleuchtet. Die Strapazen waren plötzlich wie weggeflogen. Das Vogelgezwitscher klang wie Musik in den Ohren. Wir sahen Belalp, das Hüttendorf, hell beleuchtet. Nach einer guten Stunde waren wir endlich da. Wir wurden mit dem Satz empfangen: „Guten Morgen, wir haben Pizza, was mögt ihr?“ Wir drei dachten wahrscheinlich alle dasselbe: „Oh wie geil Pizza, Kalorien, Kalorien, Kalorien.“ Wir bestellten schnell die Pizza, die im Steinofen gebacken wurde.

In der Zwischenzeit zogen wir unsere Wechselklamotten an, machten uns ein wenig frisch und füllten unsere Flaschen. In Rekordzeit verschlungen wir unseren Pizzen, gönnten uns Schokolade und spülten alles mit Cola und Kaffee runter. Ultralaufen hat nichts mit genüsslichem, gesittetem Essen zu tun. Hier ging es ums Überleben und Durchkommen, deshalb versuchten wir, so viele Kalorien wie es geht in möglichst kurzer Zeit in uns reinzustopfen. Danach schnappten wir uns den Hüttenschlafsack – auch Teil der Pflichtausrüstung – und legten uns ins Bett. Es gab ein großes Schlafzimmer im zweiten Stock, ein paar Mitstreiter schnarchten dort schon selig. Es galt, ein wenig zu Ruhe zu bekommen, den Puls zu beruhigen – natürlich wir sind prompt weggepennt. 60 Minuten vergingen wie im Flug und dann ging es wieder raus. Auf zum Aletsch Gletscher! Die Sonne lachte.

Hängebrücke trifft auf Höhenagst 

Judiths Alptraum rückte immer näher. Die Hängebrücke von 124 Metern Länge und einer Höhe von 80 Metern über der Massaschlucht stand unmittelbar bevor. Für sie der pure Nervenkitzel. Zittern, Schweißausbrüche, Herzrasen, wackelige Knie, das waren nur einige Symptome mit denen Judith bei solchen Gerüsten zu kämpfen hat. Nach einer kurzen Pause und Taktikbesprechung meisterten wir aber trotz Höhenangst dieses Hindernis. Simone vorweg, Judith dicht hinter ihr mit Blick weit in die Ferne. Step by Step ging es über die Schlucht. Die Erleichterung am Ende war in Worte kaum zu fassen. Fast schon wie in Trance ging es weiter, die Sonne meinte es sehr, sehr gut mit uns.

Fortan konnten wir den Blick nicht mehr vom Großen Aletschgletscher abwenden – atemberaubend! Sein Anblick und auch die umliegenden Berge und Gipfel entschädigten für Vieles. Doch diese Passage war mit eine der anspruchsvollsten und kräftezehrendsten der ganzen Runde. Wasser war knapp, nirgends war auch nur ein Minirinnsal zu finden. Der Wasserfilter von Simone war Gold wert und am Ende nutzten Simone und Judith diesen zusammen und füllten jede noch so kleine Dreckspfütze ab. Ohne Wasser wären diese Kilometer unerträglich gewesen. Sicherlich war auch ein Sonnenstich nicht mehr allzu weit entfernt. Schwindel, Sonnenbrand, wackelige Knie und immer wieder das Gefühl, dass der Boden sich bewegt. Dass er das am Ende wirklich tat, merkten wir ein paar Stunden später, als wir vor der nächsten Hängebrücke standen. Wow, was für ein Teil! Größer, länger und definitiv viel, viel wackeliger als die Erste. Judith wurde blass. Lieber schnell noch einen Riegel essen, um dem Magen etwas zu tun zu geben. Simone testete die Wackeligkeit mal an. Puhhhh, das war um einiges schlimmer als bei der letzten.

Hand in Hand im Entenmarsch

Wir mussten die Taktik ändern. Also gingen wir im Entenmarsch, Hand in Hand los. Simone vorneweg, Judith an der Hand hinten dran. Stephan bildete die Nachhut. So marschierten wir langsam und voller Konzentration über die Weißwasserschlucht. Immer mit Distanzansage und ob rauf oder runter von Simone. Nach einer gefühlten Ewigkeit war die andere Seite erreicht. Der Ausstieg aus dem Brückenbereich war allerdings auch nicht ohne – steil, unwegsam, teilweise Eisenstufen im Felsen, welcher sich tatsächlich immer noch bewegte. Nach gefühlt 30 Metern senkrechter Stufen und Treppenkletterei waren wir endlich wieder auf einem Trampelpfad. Bellwald war immerhin schon in Sichtweite, dort anzukommen dauerte aber trotzdem noch einige Zeit. Wir beobachteten das Team hinter uns. Diese standen sehr lange an dieser Brücke, bis auch sie tapfer drüber gingen.

In Bellwald angekommen, gab es reichhaltige Gemüsesuppe (in Franken und Hamburg nennt man sowas Eintopf), die all unsere Strapazen besänftigen konnte. Wir machten uns kurz frisch und ließen fachmännisch unsere Blasen, welche sich zuhauf an den Füßen ausbreiteten, behandeln. Für Simone war es fast wie eine Wiedergeburt, da sie endlich auch in ein Paar neue Schuhe schlüpfen konnte. Stephan legte sich ein wenig hin und wir hätten ihn fast nicht mehr wach bekommen. 45 Minuten später als eigentlich geplant verließen wir die Life Base und machten uns über den Gommer Höhenweg auf nach Münster.

Es war die dritte Nacht. Für Simone die allerschlimmste, sie hatte solche Halluzinationen, einen absoluten Filmriss und konnte sich überhaupt nur noch schwer auf den Beinen halten. Die permanente Sonne und der Flüssigkeitsmangel am Tag zuvor hatten sichtlich viele Spuren hinterlassen. Wir taumelten Richtung Münster, die Zeit rannte definitiv schneller als wir. Der Cut-Off rückte immer näher. Judith gab Alles, um die Motivation im Team aufrecht zu erhalten. Simone und Stephan hatten so gut wie abgeschlossen. Simone eh, die war mit Allem am Ende.

Endlich am Ende des Dorfes sahen wir die Beachflags „Eiger Ultra Trail“. Da mussten wir hin. Wir stürmten rein, knallten die Rücksäcke auf den Tisch. Erstmal Cola und was essen. Simone musste sich überhaupt erst einmal sammeln. Sie wankte völlig fertig und unterzuckert zum Tisch und sackte auf der Tischplatte zusammen. Die Kartoffeln mit Käse taten gut, ein doppelter Espresso auch. Flaschen auffüllen, wieder Riegel und Powergums nachfüllen und alles auf eine Karte setzen. Die Ansage von Judith auf die Frage „Jetzt ist‘s vorbei, oder?“ klingelt heute noch in all unseren Ohren: „Neee, wir gehen da jetzt wieder raus, es sind noch 5 Minuten!“ Drei Minuten später standen wir wieder auf der Strecke.

Runter von den Trails, rauf auf die Straße 

Der nächste Anstieg rauf zum Grimselpass sollte in den nächsten 6 Stunden zu schaffen sein. Zum Sonnenaufgang gönnten wir uns einen kleinen Powernap auf einer Bank. Es ging weiter bergauf und nach gut fünf Stunden durch das sonnenverwöhnte Hochtal – eine einzigartige Landschaft, umrahmt von mächtigen Dreitausendern- standen wir oben am Grimselpass. Hier war vielleicht was los. Motorräder in Massen, Rennradfahrer, Wanderer, Autos. Hilfe, es ging zu wie auf dem Jahrmarkt. Wir suchten unsere Life Base, gönnten uns eine Dusche und schaufelten zwei Teller Pasta mit Tomatensoße (und dick Parmesan für Simone) in uns. Die Blasen bekamen eine Auffrischung. Schnell noch einen Koffeinschub und zack fanden wir uns auf dem wohl längsten Downhill der ganzen Runde. 26 Kilometer sollten es sein. Was sich anfangs recht toll anhörte, entpuppte sich aber als völliger Alptraum. Laufbar war erstmal gar nichts. Es zog sich ewig. Noch dazu mussten wir um den Stausee auf die vielbefahrene Straße ausweichen, da die Berg-Seite wegen Erdrutsch gesperrt war. Die Straße war die Hölle, es war für uns drei das schlimmste Stück. Der Lärm, die Massen Motorräder die Centimeter an einem vorbei rauschten, dazwischen Autos und Rennradfahrer. Wir waren angespannt ohne Ende und sichtlich erleichtert, als diese Passage vorbei war.

Weiter ging es Richtung Geissholz. Auch das zog sich ewig. Wir konnten zwar gut 10 Kilometer traben und ein wenig Strecke machen, aber jeder Tritt tat weh. Die Blasen schmerzten bei uns beiden mittlerweile sehr. Ignorieren und weg atmen funktionierte nicht mehr, Heulen sowieso nicht. Kurz vor Geissholz stoppten wir an einer Gastwirtschaft und Stephan spendierte eine große Flasche Apfelschorle. Endlich was Kaltes, Prickelndes – und besser als Champagner in diesem Moment.

Auf jetzt – die letzten 30 Kilometer! 

An der Life Base, einer Helikopterstation in Geissholz, wurden wir herzlich empfangen und bekamen einen Teller Reis-Gemüse und Alpenmakrönli, dazu gelbe Wassermelone. Ein Traum! Bei alkoholfreiem Bier (herrlich kalt und überhaupt mal ein anderer Geschmack!) wurden wir am Beispiel von Judiths sipschenden Füßen über die mangelnde Sinnhaftigkeit von Blasenpflastern aufgeklärt und machten uns frisch verbunden und gestärkt auf die letzten 30 Kilometer. Es dämmerte bereits und uns war klar, dass es wieder eine schlaflose Nacht werden wird. Allerdings die Letzte, das Ziel schien greifbar. Wir mussten rauf zu großen Scheidegg. Mehrmals machten wir kurz Pause für ein Power Napping. Mittlerweile brauchte es dafür noch nicht einmal mehr eine Bank. Man kann auch abgestützt auf den Stöcken schlafen oder einfach an einen Baum gelehnt oder sich irgendwo hinhocken und wegdösen. Es machte keinen Unterschied mehr.

Wir stapften weiter, mittlerweile kam satt Nebel auf. Sichtweise keine zehn Meter mehr. Simone war der Meinung, wir seien an DIESEM BAUM schon dreimal vorbeigekommen und wir würden im Kreis laufen. Sie wäre sich da sicher, denn schließlich wäre eine weiße Eule auf den Stamm gemalt. Jaaa, gesehen haben wir alle sehr viele Sachen, skurrile Sachen, gruselige Sachen, komische Sachen. Ob das alles real war, sei zu bezweifeln. Wo wir uns aber alle einig waren, war die Tatsache, dass wir uns im Nebel verlaufen hatten und wir irgendwie wieder Richtung Grindelwald kommen mussten. Letztendlich sind wir einen Teerberg hinab gerannt. Acht Kilometer vor dem Ziel waren wir wieder auf dem Track.

Als wir den Ortseingang Grindelwald erreichten, war es schon fast wieder hell. Die Dorfstraße lag friedlich in der Morgendämmerung, so ruhig und besinnlich. Kurze Zeit später sahen wir den Zielbogen mit „Welcome Finisher“ – eeeeendlich! Wir konnten es kaum glauben. Zum Zieleinlauf nahmen wir Stephan in die Mitte, rauf die Rampe, auf der anderen Seite wieder runter. Auf dem roten Teppich, vom Adrenalin getragen und alle Restkräfte mobilisiert, trabten wir jubelnd und mit einem riesigen Grinsen nach 91:22 Stunden ins Ziel. Die Uhren zeigten um die 265 Kilometer an (mit Streckenänderung und Verlaufen).

Wir fielen uns erleichtert, stolz und todmüde in die Arme. Wir hatten es gepackt. Nach all den Höhen und Tiefen, nach all dem „Oh Gott das wird jetzt aber knapp“.

Wir bekamen die heiß ersehnte Eiger Medaille überreicht. Für Außenstehende einfach ein Stück Stein am Band. Für uns DIE Anerkennung schlechthin. Wir nahmen diese wie den heiligen Gral entgegen. Der vermutete Heulanfall blieb aus (zumindest zu diesem Zeitpunkt). Die Müdigkeit war plötzlich zu groß.

Zum Abschluss können wir nur sagen:

Die Verpflegung war mega, die Fürsorglichkeit und Hilfsbereitschaft an den Life Bases und VPs der Wahnsinn. Auch die komplette Orga im Vorfeld, während des Rennens und danach war grandios. Glatte Weiterempfehlung.

Übrigens: ALLE gemeldeten Frauen-Teams haben das Ziel erreicht – wenn das kein weiterer Ansporn ist, Mädels. Let‘s goooo!

Simone: Für mich war es einer der heftigsten und krassesten Erfahrung, die ich je gemacht habe.  Lange Laufen ist die eine Seite, Eiger E250 ist aber eine komplett andere Hausnummer. Meine Komfortzone wurde hiermit neu kalibriert. Es war ein Kampf gegen den Unterzucker, Dehydration, Schwindel, komplette körperliche Erschöpfung, Halluzinationen, Schlafmangel und zeitweise Kampf gegen die Uhr. Auf der anderen Seite war es ein super tolles Erlebnis. Die Gegend und die Strecke sind der Wahnsinn. Alleine dafür war es die Reise und die Strapazen wert. Zusammen mit Judith im Team und Stephan als Zusatz war ich zwar die Schwächste von der Lauferfahrung her, aber dafür hab ich uns alle gut über diese Hängebrücken gebracht.  Einer für alle, alle für einen. Und es war sicherlich nicht der letzte Eiger Trip von mir.

Judith: Der Eiger Ultra Trail war zweifellos ein unvergessliches und fesselndes Abenteuer. Die 250 Kilometer lange Strecke durch die beeindruckende Berglandschaft wird mir für immer in Erinnerung bleiben. Gerade dieses gemeinsame Erlebnis im Team, die körperlichen und mentalen Herausforderungen, machten „den Eiger“ zu etwas Besonderem. Die Freude am Laufen und die unvergleichliche Verbundenheit mit der Natur standen im Vordergrund. Das kann einem auch keine noch so große Blase verderben. Ich war mir immer sicher, dass wir unser Ziel, zu finishen, erreichen – mit Entschlossenheit, Teamgeist und dem Mut, sich immer wieder neuen Herausforderungen zu stellen (diese Hängebrücken – aaargh). Ich bin dankbar für diese Erfahrung und stolz darauf, Teil eines solch außergewöhnlichen Abenteuers gewesen zu sein.

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