„Was die Einschätzung des Laufs betriff, ist definitiv zu sagen, dass dieser zu den Härtesten über diese Distanz gehört. Sicherlich in einer Liga mit dem Swisspeaks 170 oder der Ultra Tour Monte Rosa.“
Paul Ruick/ team trailrunning 24
Es gibt nur wenige Berge von Weltrang die rund um den Globus anhand ihrer Silhouette erkannt werden. Das Matterhorn ist sicherlich einer von ihnen. Es ranken sich unzählige Geschichten um den Berg, der zumeist von der Schweizer Seite dargestellt wird. Etwas weniger bekannt ist die italienische Seite auf der das Cervino Matterhorn Ultra Race (CMUR) im Skiort Breuil-Cervinia stattfindet. Aber auch von hier ist der Monte Cervino, wie ihn die Italiener nennen, eine beeindruckende und markante Erscheinung. Der Ort selbst versprüht den typischen sommerlichen Charme einer Winterdestination. Bewegt man sich allerdings abseits der Pisten, findet man sich sehr schnell in einer wundervollen hochalpinen Gegend wieder und kann den Trubel des Alltages schnell hinter sich lassen.
Das CMUR wurde letztes Jahr ins Leben gerufen und erwarb sich bereits bei der ersten Ausgabe den Ruf eines der härtesten 100 Meilen Rennen in ganz Europa zu sein. Die Runde geht größtenteils auf der Tour-Monte-Cervino (TMC) entlang und führt auf einer logischen Wegfolge einmal komplett um das Matterhorn herum. Die Route darf dabei unumwunden als hochalpin eingestuft werden. Die durchschnittliche Höhe beträgt ca. 2350°m, es werden 3 Pässe über 3000°m und 4 weitere über 2800°m passiert. Dabei gilt es 2 Gletscher zu überschreiten. Viele Höhenwege dazwischen zeichnen sich ebenfalls durch ihren anspruchsvollen Charakter aus. In Zahlen macht das eine Distanz von 173 km mit ca. 12.000 hm. Abgesehen davon bietet der Veranstalter auch Distanzen von 16, 28 und 55 km, die vom Profil nicht minder anspruchsvoll sind.
Da mich solche Herausforderungen traditionell reizen und der Veranstalter so freundlich war einen Startplatz zur Verfügung zu stellen, konnte ich nicht anders und gesellte mich am 21.07.23 um 6°Uhr morgens an die Startlinie zusammen mit ca. 160 anderen erfahrenen Ultraläufern. Während nochmals die wichtigsten Punkte vom vorabendendlichen Briefing wiederholt wurden, mischte sich neben großer Vorfreude eine gewisse Anspannung ob dieses kleinen Abenteuers unter die Teilnehmer. Nachdem auch die Eliteläufer nochmals vorgestellt waren, ging es mit gut 5 Minuten Verspätung endlich los.
Nachdem der Ortskern schnell verlassen war, führte die Strecke in einem kleinen Bogen nach ca. 2 km auf die Trails. Die folgenden Kilometer gingen wellig ansteigend aber bereits aussichtsreich dahin, während die Sonne aufging und der Tag in seiner vollen Kraft zu erstrahlen begann. Während sich der Weg langsam immer weiter in die Höhe wund, zog auch der Himmel zusehendes zu und noch deutlich vor der ersten Verpflegung auf dem Refuge Perucca Vuillermoz wurde es nass und kalt. So war an der Verpflegung der heiße Tee das sichtlich beliebteste Getränk und wärmte auch meine halb gefrorenen Hände wieder auf. Von hier aus waren es noch knapp 200 hm zum ersten spektakulären Pass. Der Weg dahin war recht anspruchsvoll und teilweise versichert. Auf dem Übergang selbst wehte ein unnachgiebiger Wind, der erste Lücken in die Wolken zu reißen begann.
Hinab ging es durch ein steiles Geröllfeld. Das Gefälle und der Untergrund eigneten sich stellenweise dabei mehr zum Rutschen als zum Laufen. Umso tiefer wir kamen, desto besser wurde das Wetter, bis schließlich die Sonne wieder hervor kam. Der Weiterweg wurde auch immer laufbarer, sodass sich Richtung Refuge Prarayer ein schöner Flow einstellte. Nach dem ich hier in der Talsohle schnell verpflegt hatte, ging es erst sanft, später steiler werdend Richtung Refuge Nacamuli. Auf dem Anstieg konnte ich weiter ein konstantes Tempo gehen und zur Belohnung gab es auf der Hütte leckere Pasta, bevor es zum zweiten Passübergang in luftiger Höhe ging. Kurz nachdem ich damit meinen Fuß in die Schweiz gesetzt hatte, eröffnete sich eine gewaltige Gletscherlandschaft, die sonst nur Bergsteiger vorbehalten bleibt. Der Weg war hier eng markiert und wechselte zwischen Schnee, Eis und viel losem Geröll. Die zur Pflichtausrüstung gehörenden Grödel musste man wegen der guten Bedingungen nicht aufziehen, dennoch ging es nur langsam bergab, denn gerade das lose Geröll war sehr tückisch zu laufen. Nachdem wir wieder festen Untergrund unter den Füßen hatten ging es recht flott Richtung Arolla runter. Auf dem Weg dahin musste ich ein paar Steinchen aus meinem Schuh holen und beim schnüren des Schuhs riss mir leider eine Öse aus, sodass ich mit der Schnürung fortan etwas improvisieren musste.
Bei Arolla fand sich nach 41 km die nächste schnelle Verpflegung. Anschließend ging es weiter auf einfachen Wegen hinab. Währenddessen spürte ich wie es plötzlich nass an der Brust wurde. Ein kurzer Blick verriet mir, dass sich an meiner Softflask leider die Verklebung gelöst hatte, sodass mir vorerst nur noch eine Flasche zur Verfügung stehen sollte. Unbeirrt von diesem neuerlichen Missgeschick, ging ich den nächsten langen Anstieg und erreichte in Ville weit unterhalb des Col de Torrent eine weiter Verpflegung. Hier gab es leckeren Reis mit Bouillon und eine Dame war so freundlich mir eine einfach 0,5 l Plastikflasche zur Verfügung zu stellen, sodass ich wieder genügend Flüssigkeit mitnehmen konnte.
Der Weg zum Pass hinauf war zwar lang, stellte sich aber ansonsten als eher unspektakulär heraus. Die Steigung und der Weg selbst waren verhältnismäßig moderat, sodass ich gut hinauf auf den windigen Übergang kam. Die Umgebung hingegen blieb einfach atemberaubend. Auf der anderen Seite ging es hinab zum Lac de Moiry, der bereits aus der Ferne sein Antlitz präsentierte. Ein typischer Schweizer Stausee getaucht in grün-blaue Farbtöne und mit einer stattlichen Staumauer versehen. So schnell wie wir hier unten angekommen waren, ging es mit kurzem Zwischenstopp an der Verpflegung auch wieder hinauf zum nächsten Passübergang. Das schwindende Licht des Tages tauchte die Landschaft dabei in immer neue Facetten.
Auf der anderen Seite erwartet uns anschließend wieder etwas mehr Zivilisation, denn die Strecke führte durch ein großes Skigebiet hinab zur ersten Life Base in Zinal bei Kilometer 74. Bis wir unten angekommen waren, hatte uns die Nacht vollends umschlossen und unser Blick konzentrierte sich nunmehr auf den wackelnden Lichtkreis vor uns. Hier zog ich mich also um, füllte meine Vorräte auf und freute mich über eine nagelneue Softflask. Auch wenn es hier die Möglichkeit gegeben hätte zu schlafen, zog ich es vor nach einem soliden Essen (Reis mit Bouillon) weiterzuziehen.
Aus Zinal heraus versprach das Profil einen etwas leichteren Verlauf und irgendwie hatte ich für mich im Kopf auch eher Bilder breiter Wirtschaftswege. Allerdings sollte es gänzlich anders kommen. Zunächst ging es sehr steil aus dem Ort heraus und auf dem Höhenweg Richtung Hotel Weißhorn wurde es selten breit, dafür immer mal wieder technisch anspruchsvoll. Kenner der Gegend werden sich bereits an den Klassiker Sierre-Zinal erinnert fühlen. Wie groß die Streckendeckung, wenn auch in entgegengesetzter Richtung wirklich ist, kann ich leider nicht sagen. Insgesamt war es für mich ein sehr einsamer Abschnitt. Abgesehen von fernen Lichtern war ich zu tiefster Nacht gänzlich allein unterwegs.
An der Verpflegung nach 85 km machte ich dann auch nur kurz halt, um schnell Richtung Meidpass weiterzuziehen. Auch wenn sich dieser Pass vom Weg her doch ein wenig ruppiger darstellte, als die zwei vorherigen, muss ich sagen, dass es trotzdem angenehm im Rahmen blieb. Einzig der Wind zog am Übergang wieder unangenehm auf. Zum Glück hält man sich in diesen Bereichen aber eher kurz auf. Auf der anderen Seite ging es wieder ähnlich hinunter, sodass immer noch ein gewisser Fluss vorhanden war. Beim Einlaufen in Gruben (der nächsten Versorgungsstelle) waren erste zaghafte Regungen des Tages wahrzunehmen. Also gab es zum Frühstück lauftypisch Pasta mit Bouillon. Einige Teilnehmer schienen im Innenbereich zu ruhen, aber ich wollte in meinem Rhythmus bleiben. Müdigkeit verspürte ich noch nicht wirklich. Außerdem hatte ich bis jetzt noch kaum Koffein zu mir genommen, sodass ich immer noch ausreichend Reserven hatte, um den langen Übergang zur zweiten Life Base in Sankt Niklaus in Angriff nehmen zu können.
Den Augustbordpass war ich letztes Jahr bereits in entgegenkommender Richtung gelaufen und wusste das dieser nicht einfach werden würde. Der Trail hinauf war in weiten Teilen noch sehr angenehm zu bewältigen. Dennoch begann ich langsam Koffein in meine Verpflegung zu integrieren. Kurz vor der Spitze schloss sich mir ein weiterer Läufer, der am Streckenrand gesessen hatte an und trabte meinen Schritten hinter. Gemeinsam wähnte ich uns mehrfach oben, musste aber immer wieder feststellen, dass es nur vorweggenommene Anhöhen waren. Nachdem wir den Pass dann doch endlich überschritten hatten, öffnete sich vor uns das gefürchtete Blockgelände, welches mir noch leidlich in Erinnerung war. Unter solchen Bedingungen verwundert es nicht, dass der Abstieg nur unwesentlich schneller vonstatten ging, als der Aufstieg. Auf dem Weg hinab durfte ich noch einem majestätischen Steinbock begegnen und mir einen schmalen Trail mit 20 Kühen teilen.
In Sankt Niklaus waren 113 km zurückgelegt und ich hatte Zugriff auf mein 2. Dropbag. Nach der Ankunft entschied ich mich allerdings zuerst für einen kurzen 10-minütigen Powernap . Nachdem der Kopf erfrischt war, machte ich mich daran alles für den nächsten Push zu richten. Nach kurzem Zögern zog ich mich nicht nur um, sondern wechselte auch vom Hoka Mafate 4 in den Hoka Speedgoat 5. Abgesehen von dem kleinen Defekt ist es nach über 24 Stunden einfach mal wieder schön frische Schuhe mit einer frischen Dämpfung unter den Fußsohlen zu spüren.
Auf diese Weise beflügelt begab ich mich auf den flachsten Teil der Strecke. Auf dem Weg Richtung Randa musste ich bald erkennen, dass die Temperaturen im tiefen Tal flott in die Höhe schnellten und ich zunehmend Tempo herausnehmen musste um Körner zu sparen. Das war auch bitter nötig, denn der anschließende Weg von Randa zur Europahütte fühlte sich teilweise erbärmlich steil an. Und mit den steigenden Temperaturen im Rücken wurde ich hier zunehmend langsamer, bis ich gefühlt nur noch den Berg hinauf kriechen konnte. In dieser Phase verlor ich mental ein wenig den Fokus und begann mich ein wenig an mir selbst und den Umständen abzuarbeiten. Glücklicherweise erkannte ich zum Ende des Anstiegs das es so nicht weitergehen konnte, sagt zu mir selbst: „Schluss mit Mimimi!“ und besann mich wieder auf das Vorankommen. Es gelang mir tatsächlich den Hebel umzulegen und die restlichen Meter bis zur Europahütte bei 130 km flott zurückzulegen.
Auf der Hütte trank und aß ich flott und noch bevor ich wieder loskam, wurde ich von Fabian überrascht, mit dem ich schon manches Rennen, u.a. die Ultra Tour Monte Rosa, welche von hieraus eine fast identische Streckenführung bis Italien hat, bestritten hatte. Er schloss sich für ein paar entspannte Kilometer an und nachdem wir die Europabrücke überquert hatten, gesellte sich auch noch seine Freundin zu uns. Dieser Abschnitt zur Täschalp sieht wieder auf dem Profil unspektakulär aus, hat es aber ordentlich in sich. Es geht stetig schmal, exponiert und teils technisch voran. Im Blick dabei immer das Weißhorn, welches sich leider nicht in seiner vollen Pracht zeigen wollte. So schnell die beiden mit Ihrem Hund aufgetaucht waren, so schnell waren sie auch schon wieder abgebogen und ich fand mich nach kurzer Zeit auf der Täschalp allein wieder.
Es gab zur Abwechslung mal Rinderbrühe und Nudelsalat. Eine angenehme Abwechslung und zu diesem Zeitpunkt keine Herausforderung für meine Verdauung. Nachdem ich einem anderen Läufer noch mit einem Blasenpflaster ausgeholfen hatte, ging es weiter nach Zermatt. Der Weg dahin war nicht mehr allzu schwer, aber die Sonne brannte unerbittlich. Unter diesen Bedingungen sollte man deutlich mehr trinken als normal, was mir leider nicht ganz gelang, sodass ich im Downhill nach Zermatt schon ein wenig nach Wasser lechzte. Leider war die Aid Station bei Kilometer 149 praktisch hinterm Ort. Da ich dies nicht wusste, zog sich der Weg etwas. Allerdings stand auf der Habenseite, dass ich nur noch einen Anstieg vor mir hatte und noch einiges an Tageslicht übrig war.
Dieser letzte Anstieg hat es allerdings in sich. Der Übergang am Theodulpass liegt auf über 3300 m und stellt somit eine gewaltig Hürde dar. So herausfordernd dies auch sein mochte, meine Entschlossenheit war mindestens ebenbürtig. Zusätzlich hatte ich bis jetzt mit Koffein sehr gut gehaushaltet, sodass ich jetzt einen zusätzlichen Booster zünden konnte. Auf diese Weise schob ich mich geradewegs den Berg hinauf und verlor alsbald meine Mitläufer hinter mir aus dem Blick. Das einzige was in dieser Phase schwand war das Tageslicht. Die Berge um mich herum wurden in immer magischere Farben getränkt, was mir neben dem nahenden Ziel zusätzlichen Auftrieb gab. Am Trockenen Steg verpflegte ich nur kurz und machte mich sogleich weiter zum Theodulgletscher. Dieser lag noch zwischen mir und Italien. Die Markierungen hier waren so eng gesetzt, dass man niemals Gefahr lief vom richtigen Pfad abzukommen. Anfangs stieg dieser noch angenehm an, aber das letzte Stück zur Hütte steilte sich nochmals merklich auf und oben wurde ich zum wiederholten Mal von einem eisigen Wind empfangen. Auf der Theodulhütte konnte ich mich nochmals kurz aufwärmen und stärken.
Nachdem ich diese wieder verlassen hatte, war jegliches Tageslicht geschwunden und ich machte mich auf die Suche nach dem Downhill. Dieser war im bisherigen Vergleich eher spärlich markiert und führte fast komplett über breite Skipisten. Mit Hilfe des Tracks auf meiner Uhr fand ich dennoch den richtigen Weg und legte den Abstieg halbwegs solide zurück. Dieser letzte Abschnitt war sicher kein Highlight, lässt sich aber auch schwerlich anders gestalten. Ab und an traf ich noch vereinzelte Menschen an der Strecke, die versuchten einen nochmals anzufeuern. Kurz bevor man dann in den Ort zurück kam, ging es nochmals einen Stich auf schmalen Trails nach oben. Von da an konnte man es aber endgültig ruhig ins Ziel rollen lassen. Während ich kurz vor Mitternacht durch den Ort kam, waren noch ein paar Leute unterwegs und feuerten mich an. Im Ziel wurde ich dann von Verena und den Organisatoren in Empfang genommen. Als ich meine Uhr stoppte, zeigte diese noch nicht ganz 42 Stunden an. Somit war ich deutlich unter meinen Erwartungen geblieben und durfte auf dieser sehr anspruchsvollen Strecke meine bisher schnellste Zeit über diese Distanz einfahren.
Fazit:
Was bleibt als Fazit nach diesem Lauf? Für mich ganz persönlich war es eine unglaubliche Erfahrung. Auch wenn ich natürlich die üblichen Schwankungen erlebt habe, konnte ich dennoch ein bemerkenswert konstantes Rennen abliefern. Viele Dinge die sonst problematisch waren, hatte ich diesmal überwiegend im Griff. Besonders auf der mentalen Seite konnte ich fast immer den Fokus auf das Unmittelbare richten und verlor nur einmal so richtig den Faden.
Was die Einschätzung des Laufs betriff, ist definitiv zu sagen, dass dieser zu den Härtesten über diese Distanz gehört. Sicherlich in einer Liga mit dem Swisspeaks 170 oder der Ultra Tour Monte Rosa. Aber Superlative sind traditionell schwer und so soll Jeder für sich selbst entscheiden.
Abschließend kann ich nur sagen, dass ich jederzeit wiederkommen würde. Es war ein unglaubliches Erlebnis, allerdings muss man sich auch absolut klar machen auf was man sich hier einlässt. Dieser Lauf verlangt sehr viel, gibt aber auch unglaublich viel wieder zurück.
Weitere Infos zum CMUR findet ihr auf der offiziellen Website Cervino Matterhorn Ultra Race – Ultra Trail – Home
Hier findet ihr das offizielle Eventvideo (2022)