Abgerechnet wird erst am Ende
Eingekuschelt im Schlafsack lag ich in meinem Zelt. Es ist Freitag nachts und draußen heulte der Wind durch die großen Eichenbäume. Der Nachbarpavillion hat den Sturmböen schon lebe wohl gesagt und ist davon geflogen. Ich lausche dem Rauschen der Blätter und hoffe, dass die nächste Nacht nicht ganz so stürmisch werden wird. Bereits zum dritten Mal stehe ich in Hänchen (ohne h) beim MSC Hänchen e. V. auf der Motocrossbahn und werde mir für die nächsten 24h auf dieser die Füße wund laufen.
Mad Chicken Run, die dritte Auflage, aber bereits DAS Kultevent nähe Cottbus. Dieses Jahr international mit 12 Nationen. Gelaufen wird auf einer 2km Runde, entweder flach oder cross. Der größte Anteil der knapp 300 Starter startete auf dem flachen 2km Kurs, welcher über den Radweg und am Waldrand entlang verlief. Die Alternative bzw Superlative ist die 2km Crossstrecke mit a´60 Höhenmetern pro Runde und 19 Rampen auf der Motocrossbahn. Die Rampen sind im Uphill fast angenehmer als im Downhill, da einige davon gefühlt senkrecht nach unten gehen. Das wurde mir zunehmender Laufzeit auch nicht gerade einfacher.
Es gibt verschiedene Streckenformate 10km, 22km, 42km, 24h im 5er Team, 6h im 3er Team und sogar einen 2km Kidsrun. Die Königsklasse sind 24h solo. Da stand ich nun, mit 37 anderen CrossläuferInnen pünktlich um 10.00 Uhr zum Startschuss auf der Wiese. Immerhin war es beim Start noch trocken. Dies änderte sich allerdings recht schnell. Irgendwie fühlte es sich an wie ein großer Familienausflug. Jeder kennt fast jeden. Ein großer Teil waren Wiederholungstäter der letzten Jahre. Man quatscht, man lacht und bemitleidet sich im Vorweg, dass man in 12h sicherlich sehr leiden wird. Noch konnte man darüber ja auch noch schmunzeln.
Schnell wird noch ein Geburtstagsständchen zum 60. in boak boak Style gegackert und dann gings los. Der erste Anstieg geht steil nach oben, der höchste Gipfel. Es ist der Mt. Hänchen, mittlerweile in Kennerkreisen von allen bekannt. Dieses Jahr gab es für jeden „Gipfel“ ein Gipfelkreuz mit Namen. So kam es, dass ich in 2km nicht nur das Gackerhorn, Junghuhn, Eiers Rock, Drei Hennen, sondern auch Eileger Nordwand, Chickenmandscharo, Mount Glucki, Chick 2 und viele andere Gipfel bestieg.
Die Strecke war anspruchsvoll. Peter hatte anscheinend nochmal 5cm Sandschicht aufgezogen. Es ließ sich schwer laufen. Mittlerweile setzte der Regen ein, mal mehr mal weniger, aber alles noch überschaubar. Ich tat mir dieses Jahr schwer in meinen Rhythmus zu kommen. Das wird ne harte Sache dachte ich mir noch. Ich bin mit dem Ziel angereist, hier meine eigene Challenge anzugehen. Sprich ich wollte die 138km vom letzten Jahr überbieten und auch wieder aufs Treppchen kommen, evtl auch auf Platz 1. Das Frauenfeld war überschaubar. Allerdings wurden Rundenzeiten gelaufen, das war irre. Also das Tempo bekam ich nicht hin. Nach 18 Runden wusste ich überhaupt nicht, ob ich überhaupt irgendwas noch hin bekommen werde. Ich war mental so down, die Motivation hielt sich in Grenzen und die Runden wurden auch immer beschwerlicher. Gefühlt kam ich null aus der Hüfte. Eigentlich hatte ich mich da schon abgeschrieben. Ich wollte halt die Marathondistanz noch erledigt haben. Das war dann einigen Runden später der Fall. Ok, dachte ich mir, die 30 Runden (60km) zur Finishpflicht kannst du zur Not auch wandernd zurücklegen. Egal, dann ist es ebenso. Es ist halt nicht dein Tag heute. Muss man akzeptieren. Und 60km sind auch 60km, das darf man auch immer nicht vergessen. Die Medaille wollte ich auf jeden Fall haben, denn die war dieses Jahr der absolute Knaller – ganz im „Verrückte Hühner“ Look Style. Danach legst du dich ins Zelt und schläfst. Die Nacht soll ja laut Wetterbericht alles andere als angenehm werden. Starker Regen, Regenschauer und Sturmböen sind gemeldet. Der Wind war den ganzen Tag schon sehr stark. Sicherlich in der Nacht dann auch recht kalt. Ich schraubte mich Runde um Runde Richtung 60km. Die Strecke glich mittlerweile einem durchgepflügten Feld. Profil der Schuhe war schon seit Stunden nicht mehr vorhanden. Alles voller Dreck und hart wie Beton.
Hurra, die 60km Marke hatte ich irgendwann endlich erreicht. Und eigentlich rein mathematisch auch trotz allem in einer für mich noch ganz akzeptablem Bereich. Rechnerisch wären die 140km theoretisch drin, allerdings dürfte ich keine größeren Pausen machen und müsste definitiv das Tempo halten. Ich lief erstmal weiter und überlegte mir schon meine Strategie für die Nacht. Erstens was zieh ich an? Lange Hose, kurze Hose? Definitiv Schuhwechsel. Regenjacke und Halstuch. Zweitens wann mache ich Pause, mache ich überhaupt Pause oder laufe ich durch? Mittlerweile war ich motivationsmäßig wieder auf Spur.
Aktuell war ich auf Platz 4. Platz 4 ist eigentlich der undankbarste Platz den man haben kann. Mein Plan war wenigstens auf 3 vorzurücken. Also weiter. Runde um Runde, das Highlight jeder Runde war definitiv die Verpflegungsstation. Da herrschte immer gute Laune. Die Bewirtung war spitze, es gab auch immer ein nettes aufmunderndes Wort und ein Lächeln, was in der Nacht soooo dermaßen gut tat. Es spielte Musik, es gab Kartoffeln, Kuchen, Nüsse, Schokolade, Gummisachen, Peters geniale Kürbissuppe, Süßkartoffelsuppe mit Reis und verschiedenen Toppings. Kalte und warme Getränke. Eigentlich alles was das Herz begehrt. Es ging weiter für mich. Mittlerweile goss es aus Eimern. Der Wind peitschte einen den Regen böenartig wie Nadeln ins Gesicht. Ekelhaft. Stehenbleiben und warten bis es besser wurde, war keine Option, zu schnell wurde man eiskalt. Ich setzte mich ins Auto, eingewickelt in eine Wolldecke und meine Daunenjacke. Ich trank heißen Tee und aß meine Pancakes von zuhause. Gott sei Dank hatte ich diese Pause eingelegt. Es kam ein Wolkenbruch runter vom Feinsten. Leidergottes war es aber auch an der Zeit zu entscheiden was ich mache. Ich war hundemüde, mir war etwas fröstelig und die Strecke war mittlerweile auch eine reine Schlammschlacht. Zwei der steilsten Rampen wurden bereits gesperrt und mussten umlaufen werden. Hier kam keiner ohne Sturz mehr nach unten. Ich war eh froh, dass ich meine Stöcke dabei hatte. Die haben einen guten Job gemacht und mich vor einigen Stürzen bewahrt, denn an einigen Stellen entschied die Strecke WIE du dort durchkommst. Da konnte man nur noch balancieren und hoffen, dass deine Füße und Beine in der Senkrechten blieben.
Ungemütliches Wetter, Kälte, Windböen, Regenschauer und Wolkenbrüche, damit komm ich an und für sich ganz gut klar. Genau diese Erkenntnis hoffte ich, dass meine Platzierung nach oben schraubt. Also war aufhören und ins Zelt legen noch keine Option. Ich zog noch eine warme Schicht unter die Regenjacke und ging wieder auf die Strecke. Motiviert und angefeuert von meinen beiden Lieblingshühnern machte ich weiter. Platz 2, noch 6h Zeit. Der Vorsprung auf Platz 1 war einiges. Irgendwann bemerkte ich, dass Platz 1 wohl ausgestiegen war bzw Pause zu machen schien. Meine Aufholjagd ging los. Auf jeder Runde verglich ich an der VP die Rangliste, die dort bei jeder vollendeten Runde aktualisiert wurde am Monitor. Puh, wenn das so weiter geht, könnte das mit dem 1. Platz trotzdem noch klappen. Und so war es dann auch. Ich trotze dem Wetter, blendete es komplett aus. Ich war nur noch fokussiert auf die Strecke, auf die Rampen auf die Rundenanzahl, nahm nur noch verschwommen meine ganze Umwelt war. Ich freute mich zwar jedesmal, wenn ich die 2. Hälfte der Runde anfing, die Flachläufer auf dem Gegenweg zu sehen. Lustigerweise auch meist die selben Läufer. Sozusagen „selbe Pace“. Nach einer endlos zu scheinenden Nacht wurde es endlich hell. Relativ spät eigentlich, da es sehr bewölkt war. Es waren keine 4h mehr. Mein Sieg schien in greifbarer Nähe zu sein. Es änderte sich tatsächlich nur meine Rundenanzahl. Ich nahm etwas Druck heraus. Ging das Ganze ruhiger an. Wandern ist ja auch ganz schön und würde reichen.
Und so war es dann auch. Mit 2 Runden Vorsprung beendete ich nach 118km den Mad Chicken Run 24h solo Cross auf Platz 1 der Damen das Rennen. Ich konnte es nicht glauben. War sowas von happy und stolz, denn eigentlich wäre ich ja am liebsten schon nach 36km ausgestiegen. Wie ich die restlichen 82km dann doch hinbekommen habe weiß ich auch nicht so recht. Wahrscheinlich weil ich weiß, dass Tiefphasen bei solchen Läufen dazu gehören und man meist zu mehr im Stande ist als man denkt. Da spielt meine mentale Stärke wohl sehr mit rein. Deshalb ist der Spruch „ Abgerechnet wird beim Ultra immer erst am Ende“ tatsächlich nicht gelogen. Es war vielleicht das scheußliche Wetter, welches mir meinen Joker zuspielte, denn da ist bei Vielen dann oft Schluss. Und sicherlich war auch ein wenig Glück dabei.
Am Ende hatte ich noch über 30min Luft zu den 24h, aber keinen Bock mehr auf eine zusätzliche Runde. Ich beendete dieses ungewöhnliche, aber trotz allem fantastische Rennen zwar nicht mit meiner erhofften 140km Bilanz, aber im dritten Anlauf endlich mit einem Platz 1 der Frauen (Gesamtplatz 4). Jetzt heißt es Füße hochlegen und wahrscheinlich schon über nächstes Jahr nachdenken, wie die Strategie zu optimieren wäre, meine 140km zu knacken 🙂
Vielen vielen Dank geht an Peter und sein Team für dieses wunderbare Veranstaltung. Man merkt wie viel Herzblut da drin steckt. Die ganzen Helfer, die sich den ganzen Tag und die ganze Nacht für uns in den VP stellen, die uns mit einem leckeren Frühstück im Anschluss versorgen und überhaupt für alle Anliegen, Wünsche und Problemchen immer eine Lösung parat haben. Ohne Euch ist so eine Veranstaltung nicht machbar.
See you next year!
Quellenangaben und Querverweise:
- Bericht und Fotos: Simone Gerstmayer