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Länger, höher, weiter: Ultra-Trails beginnen da, wo Straßenläufer meist aufhören - bei 42,195 Kilometern. Was treibt Ultraläufer an? Ist man gleich süchtig, wenn man diesem Glücksgefühl hinterher läuft? Wie hilft Ausdauersport unserer Psyche? Wir haben mit einem Sportpsychologen gesprochen.

Seitdem ich vor zwei Jahren mit dem Trailrunning begonnen habe, höre ich häufiger Sätze wie „Das kann doch nicht gesund sein“ oder „Du bist doch süchtig“. Ich gebe zu, dass ich zuvor nicht als Sportenthusiast bekannt war. Laufen war für mich eher ein langweiliger Zeitvertreib als eine Sportart. Doch dann kam die Zeit von Corona, und ich entschied mich dazu, meine alten Sportschuhe aus dem Schrank zu holen. Bald schon fand ich mich abseits asphaltierter Straßen, im Wald und auf alpinen Pfaden wieder – über Stock und Stein, voller Energie. Dass das mein Umfeld, was mich schon länger kennt, irritiert, ist durchaus nachzuvollziehen. 

Es begann, wie bei vielen, eher aus Zufall. Mountain Man Reit im Winkl 2021 – der Auftakt meines Trailrunning-Abenteuers. 20 Kilometer mit 1200 Höhenmetern.  Das Gefühl danach war so unbeschreiblich, dass ich sofort wieder raus wollte, laufen, an die Grenzen gehen. Für dieses Gefühl danach, die maximale körperliche Erschöpfung aber auch maximale Freude. Ein Gefühl, das mir bis dato relativ unbekannt war. 

Zwei Jahre später stand ich in Ordino/Andorra an der Startlinie. Mein erster Ultra-Trail im kleinen Fürstentum beim „Andorra100 by UTMB“. In 50 Kilometern und 3600 Höhenmeter durch die Pyrenäen. Als ich nach dem Wochenende mit meinen Kollegen in der Kantine saß und von diesem Abenteuer erzählte, reagierten auch sie skeptisch und fragten sich, wie so etwas überhaupt machbar sei. Diese Zweifel haben mich eine Weile verunsichert. Ist es wirklich so abgefahren, einen Ultra-Trail zu laufen? Bin ich schon süchtig? 

Professor Heiko Ziemainz vom Lehrstuhl für Sportwissenschaften an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg gibt Entwarnung: „So einfach ist es nicht“, sagt er schmunzelnd. Unsere Gesellschaft habe generell ein Problem mit mangelnder Bewegung. Gemäß einer Studie der Weltgesundheitsorganisation WHO aus dem Oktober 2022 bewegt sich ein großer Teil der deutschen Bevölkerung zu wenig. „Für Menschen, die wenig bis gar keinen Sport treiben, sind sportliche Herausforderungen wie ein 50 Kilometer Lauf unvorstellbar. Es ist zu weit weg von ihrem eigenen Leistungsniveau. Deshalb reagieren sie meist mit Unverständnis“, erklärt Ziemainz.

Die Frage, ob man vor etwas davonläuft, wenn man so viel läuft, verneint Ziemainz ebenfalls: „Das Suchen nach einem Ausgleich in der Natur hat nichts mit Weglaufen zu tun. Es ist ein Prozess, in dem man Erfahrungen verarbeitet, um das Wohlbefinden zu steigern.“ Dies motiviere viele Menschen, diesen zufriedenen Zustand erneut anzustreben – sie gehen wieder laufen.

„Regelmäßiges Laufen führt zu besserer Fitness. Das wiederum erlaubt es, die Trainingsumfänge stetig zu erhöhen. Einige gehen so weit, dass sie Ultras laufen wollen“, fährt Ziemainz fort. Bei Ultras steht nicht die Geschwindigkeit, sondern die Ausdauer im Vordergrund. Eine Tatsache, die mir zugutekommt. Ich habe weder ein Lauftalent, noch strebe ich Bestzeiten im Flachen an. Der Wunsch, einen Ultra zu laufen, hatte ich schon im Winter. Für mich lag der Reiz darin, etwas Unbekanntes und lange Zeit Unerreichbares anzugehen. Vor dem Ultra stellte ich mir natürlich Fragen: Wie weit kann ich meine Laufleistung steigern? Wo liegen meine Grenzen?

„Wichtig ist, realistische Ziele und Erwartungen zu setzen“, betont Ziemainz. „Je länger die Strecke, desto härter wird es. Wer gewinnen will, überanstrengt sich schneller. Wenn das Ziel darin besteht, den Lauf vernünftig zu absolvieren, kann man kontrollierter laufen und andere Aspekte wie die Natur mehr genießen.“ Jeder Läufer, ob Profi oder Amateur, müsse sich die Möglichkeit des Scheiterns eingestehen, so Ziemainz.

Vor einem Ultra ist nicht nur körperliche, sondern auch psychische Vorbereitung entscheidend. Auch die Psyche wird durch Ausdauersport trainiert. „Steigernde Leistungsfähigkeit erhöht die Selbstwirksamkeit. Dies wirkt sich auf andere Lebensbereiche aus. Ausdauerläufer entwickeln bessere Stressbewältigung, Motivation, Disziplin und verbessern ihr Zeitmanagement. Sie werden durchsetzungsfähiger und insgesamt ausgeglichener. Sport ist eine aktive Form der Verarbeitung, die vieles kompensieren kann“, erklärt Ziemainz.

Es ist 8 Uhr, der Startschuss fällt in Ordino. Unser Zeitgefühl verblasst schnell. Nach vier Stunden werfe ich einen ersten Blick auf die Uhr und sage zu meinem Laufpartner Michael: „Es fühlt sich an wie ein kurzer Lauf um den Block.“ Zu diesem Zeitpunkt hatten wir bereits ein Drittel der Strecke und über tausend Höhenmeter hinter uns, während die Sonne unbarmherzig vom Himmel brannte.

Auch dafür gibt es eine Erklärung von Heiko Ziemainz: „Wenn die eigenen Ansprüche mit den Umgebungsanforderungen übereinstimmen, betritt man einen Zustand des Flows. Es fühlt sich an, als würde man schweben. Wenn dieser Zustand erreicht ist, ist das bemerkenswert.“ Forschungen zeigen jedoch, dass dieser Zustand des Flows nicht immer erreicht werden kann, selbst wenn Läufer ähnliche Voraussetzungen haben. Glücklicherweise verlief der Großteil der Strecke in Andorra im Flow-Zustand, und die Ankunft in Ordino am Abend war emotional. Der erste Ultra war geschafft!

Die Frage bleibt: Ab wann wird Ausdauersport gefährlich oder zur Sucht? Welche Anzeichen gibt es? Ziemainz erklärt, dass zwischen zwei Arten der Sucht unterschieden werden muss: Verhaltenssucht bei Sport und stoffgebundene Sucht wie Alkoholismus. Alkoholiker benötigen täglich ihre Dosis und drehen sich nur darum, ihren Stoff zu bekommen. Ähnliches gilt für Laufsüchtige.

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