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Von unserer Trailcompany-Läuferin Annabelle Bröstl:

Am Pfingstwochenende war es soweit: Der Dolomiti Extreme Trail stand auf dem Plan. 103 Kilometer, 7.125 Höhenmeter und ein Lauf, der den Ruf hat, ein Biest zu sein. Ich reiste mit meiner Standardverpflegung im Gepäck an – gut trainiert, aber auch mit dem Wissen, dass die Trainingszeit stressig war. Dieser Lauf würde entweder ein schmerzhaftes Desaster werden oder die Möglichkeit bieten, über mich hinauszuwachsen.

Der Dolomiti Extreme Trail findet im Val di Zoldo statt, einem pittoresken Tal in den südlichen Dolomiten. Es werden verschiedene Strecken angeboten – vom Mini DXT mit 2,5 km und 100 Höhenmetern über 11 km (470 Hm), 22 km (1.300 Hm), 35 km (2.000 Hm), 55 km (3.800 Hm), 72 km (5.500 Hm) bis zur Königsdistanz mit 103 km und 7.125 Höhenmetern. Die kürzeren Strecken sind dabei technisch ebenso anspruchsvoll wie die längste Distanz – das zeigt sich bereits an der Relation von Höhenmetern zu Kilometern.

Vor dem Start

Der Startbereich war übersichtlich, die Startnummernausgabe schnell und effizient. Im Starterbeutel befand sich neben etwas Prosecco und Süßigkeiten auch ein Live-Tracker, der es Freunden und Familie ermöglichte, das Rennen online mitzuverfolgen. Es gab Duschen, eine kleine Läufermesse, eine Bühne mit attraktivem Rahmenprogramm – Bands, Buchvorstellungen, Yoga und mehr. Alles war eingebettet in den kleinen Ort Forno di Zoldo. Etwas abseits lag ein Sportgelände mit großem Parkplatz, auf dem viele Läufer mit Campern übernachteten.
Ein Shuttle-Service von den Flughäfen in Venedig und Treviso wird angeboten, den ich jedoch nicht genutzt habe. Für nur 20 Euro konnte man Übernachtungen in Mehrbettzimmern buchen. Die Kommunikation im Vorfeld war klar, zeitnah und persönlich. Trotz der Größe der Veranstaltung hatte man stets das Gefühl, mit einem sehr nahbaren Orga-Team zu tun zu haben. Wir übernachteten auf dem Campingplatz „Camping Le Bocole“, den ich sehr empfehlen kann: Viele andere Läufer waren dort, es herrschte eine angenehme Stimmung, spontane Stellplätze waren möglich, und das kleine Restaurant bot gutes Abendessen.
Nach einem schnellen Essen und dem Packen meines Laufrucksacks ging es gegen 21 Uhr zurück zum Start. Die Stimmung dort war kurz getrübt, als etwa zwei Minuten vor dem offiziellen Start ein Läufer medizinisch versorgt und vom Krankenwagen abgeholt werden musste. Die Situation wurde ruhig und respektvoll gehandhabt. Das Startbriefing fiel knapp aus und erfolgte – soweit ich mich erinnere – ausschließlich auf Italienisch. Ich hatte zuvor gehört, dass die Strecke leicht angepasst wurde, da es in der Woche zuvor Neuschnee gegeben hatte. Die Änderung war auch auf der Startnummer eingetragen.

Durch die Nacht

Gegen 22:15 Uhr ging es in die Nacht. Zahlreiche Zuschauer feuerten uns im Startbereich an. Die ersten drei Kilometer verliefen leicht bergab entlang einer Straße. Ich versuchte, mein Tempo im Griff zu behalten, ohne dabei im zu erwartenden Stau des ersten Uphills zu landen.

Der erste Anstieg zog sich in zwei Abschnitten über rund 1.000 Höhenmeter auf 10 Kilometern. Es ging langsam und entspannt voran. Ich hatte das Gefühl, dass niemand drängte; man passte sich einfach dem Tempo der Masse an. Der Aufstieg war steil und gegen Ende teils ausgesetzt, aber alle Gefahrenstellen waren gut markiert. Bei Kilometer 8,6 erreichten wir die erste Verpflegungsstelle mit Wasser und warmem Tee. Danach folgte ein noch steilerer Abschnitt bis zur voll ausgestatteten Verpflegung bei der Malga Pramper (km 20).

Die nächsten 10 Kilometer bis zum Passo Duran waren technisch und durch Schlamm besonders anstrengend. Im Downhill war ich dankbar für meine Stöcke. Am Passo Duran (Cutoff-Zeit: 06:00 Uhr) kam ich gegen 04:30 Uhr mit dem ersten Tageslicht an. Der Sonnenaufgang war unspektakulär, aber es war schön, die Umrisse der hohen Gipfel zu erkennen. Die Verpflegung dort war hervorragend: Nüsse, Obst, Chips, Brot mit Marmelade oder Nutella, Käse, Wurst, warme Nudelsuppe und vieles mehr. Ich war begeistert, dass die Suppe nur lauwarm und damit direkt essbar war – eine scheinbare Kleinigkeit, die jedoch viel über die durchdachte Organisation verriet.

Nach kurzer Pause ging es weiter über Holzstege durch den Matsch. Ich unterhielt mich kurz mit einem Mitläufer, den ich später noch öfter traf. Sein Kommentar: „Fucking mud!“ – oder war’s „Fucking mad!“? Beides hätte gepasst. Es war auf jeden Fall aufmunternd.

Ich freute mich auf mein Frühstück, das ich bei Kilometer 30 am Ende eines Uphills mit schöner Aussicht auf einem Fels einnehmen wollte. Die Strecke verlief nun unterhalb der Civetta – beeindruckend trotz des wolkenverhangenen Himmels. Oben angekommen wurde man von Helfern angefeuert und direkt in einen steilen Downhill geschickt. Auch eine seilversicherte Passage war dabei – gut machbar, aber potenziell staulastig. Helfer begleiteten die Stelle aufmerksam.

Streckenänderung und neue Gesellschaft

Etwas vor diesem Punkt liefen die Strecken von 103 km, 72 km und 55 km zusammen. Ich empfand das als etwas störend, da ich nun häufiger schnellere Läufer vorbei lassen musste. Nach der Verpflegung bei der Malga Grava (km 36) wurde die Route wegen Schneefalls umgelegt – nicht hoch zum Rifugio Coldai, sondern durch ein Tal zur Malga Pioda. Über grasige Hügel führte der Weg Richtung Rifugio Belvedere. Dort wartete ein Skihang, dessen Steilheit selbst erfahrene Skifahrer wohl nicht als „blau“ bezeichnen würden. Oben angekommen, ging es genauso steil wieder hinunter.
Auf meine Frage „Are you serious?“ antworteten die Helfer mit breitem Grinsen: „For sure, this is Dolomiti Extreme!“ Ich nahm den Downhill vorsichtig in Angriff, um meine Oberschenkel zu schonen.

Halbzeit und Regeneration

Bei Kilometer 55 erreichte ich die große Verpflegungsstation am Passo Staulanza, wo auch das Drop Bag erhältlich war. Unterstützer waren hier erlaubt, und mein Freund versorgte mich mit Kaffee und mentalem Support. Die Pause dauerte etwa 30 Minuten. Zu diesem Zeitpunkt tat bereits vieles weh – insbesondere die steilen Abstiege hatten ihre Spuren hinterlassen.
Es folgte ein kurzer Uphill und dann – zur Abwechslung – ein entspannter Feldweg bergab. Ich flog förmlich hinunter ins malerische Zoppè di Cadore. Dort war die Verpflegungsstation wieder hervorragend ausgestattet. Anschließend führte ein sanfter Anstieg an einer Straße entlang – eine willkommene mentale Erholung. Am Rifugio Talamini gab es Fleischsuppe und besonders herzliche Helfer.

Ermüdung und Durchbeißen

Ich zog weiter, als mich eine Gruppe Männer überholte, die sich vorher noch erschöpft ausgeruht hatten. Sie wirkten nun wie im Rausch und liefen in perfektem Flow an mir vorbei. Ich hielt mein Tempo und merkte, wie die Erschöpfung zunahm. Oben angekommen war ich kurzatmig, gönnte mir eine Pause, bewunderte den Ausblick und versuchte, mein schmerzendes Bein zu tapen – was durch den an ihm haftenden Matsch jedoch scheiterte. Also: Augen zu und durch. Der folgende Downhill war technisch machbar, sodass ich trotz Schmerzen gut vorankam.

Bei Kilometer 85 erreichte ich die nächste Verpflegung. Nur noch ein Uphill und ein Downhill lagen vor mir. Ich dachte, es könne nicht mehr allzu schlimm werden – ein Trugschluss. Der letzte Anstieg war zäh, ich musste mich zwischenzeitlich setzen. Ein Mitläufer gesellte sich zu mir und wir gingen gemeinsam weiter. Das half enorm.

Der folgende Downhill war der technisch schwierigste, den ich je erlebt habe: schmal, ausgesetzt, steil, schotterig – 1.000 negative Höhenmeter auf 1,5 Kilometern. Ich wanderte vorsichtig mit zwei weiteren Läufern, voll konzentriert. Für nachfolgende Läufer im Dunkeln wäre hier zusätzliche Absicherung durch Helfer sinnvoll gewesen. In der Caldera standen schließlich Streckenposten, die Wasser reichten und vor dem letzten steilen Anstieg warnten.

Dieser führte durch den Wald – und war das steilste Stück der gesamten Strecke. Ohne Stöcke kaum vorstellbar. Danach kam ein Rifugio in Sicht und die letzten 10 Kilometer standen bevor. Ich war erschöpft, hinterfragte alles, was mich zu diesem Lauf gebracht hatte. Doch an diesem Punkt entschloss ich mich bewusst, nicht dem Selbstmitleid nachzugeben. Ich erinnerte mich daran, warum ich hier war – und dass ich diesen Weg zu Ende gehen wollte. Kurz darauf, bei Kilometer 92, tauchte mein Freund auf, der mir überraschend entgegenlief.  Das mobilisierte nochmal meine letzten Reserven.  

Die letzten Kilometer verliefen hügelig, aber vergleichsweise entspannt. Ich konnte das Ziel sichtlich erleichtert deutlich unter meiner 24-Stunden-Grenze erreichen. Dort bekam ich eine schöne, große Medaille und ein großzügiges Finisher-Geschenk: eine Trinkweste sowie eine hochwertige Laufweste. Im Startpreis war auch eine warme Mahlzeit enthalten – aber ich war so erledigt, dass ich nur noch duschen und schlafen wollte.

Fazit

Auf der Startseite des Dolomiti Extreme Trails heißt es: „Dolomiti Extreme Trail: more than a race against time, it is a journey into oneself.” Und genau das trifft es für mich. Der Lauf – insbesondere die 103-Kilometer-Strecke – fordert nicht nur körperlich alles, sondern auch mental. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass er einen an Punkte bringt, an denen man weit über das Laufen hinaus mit sich selbst konfrontiert wird. Es ist ein Weg, der einen dazu bringen kann, eingefahrene Gedankenmuster und alltägliche Routinen zu hinterfragen – manchmal schmerzhaft, manchmal befreiend.
Wer sich vorher schon intensiv mit sich selbst beschäftigt hat oder Menschen an seiner Seite weiß, die einen im entscheidenden Moment stützen, kann aus dieser Erfahrung enorm viel Kraft schöpfen. Denn dieser Lauf verlangt viel – aber er gibt auch viel zurück: einen tiefen Zusammenhalt unter den Läuferinnen und Läufern, außergewöhnlich engagierte ehrenamtliche Helferinnen und Helfer und eine Organisation, die kaum Wünsche offenlässt.

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