CHALLENGE ACCEPTED! Unser Teammitglied Mario hat zum Jahresabschluss eine neue Herausforderung gewagt und die Schuhe auf Gran Canaria bei der „360TheChallenge“ geschnürt – einem Trailrunning-Adventure der besonderen Art über insgesamt 260km. Lest selbst, was er bei diesem verrückten Event so Alles erlebt hat…
„Alle Läufer*innen werden persönlich vom einheizenden Kommentator vorgestellt und schreiten unter tosendem Applaus durch ein Meer an Landesflaggen zwischen den Dorfkindern zur Startlinie. Schon jetzt ein absoluter Gänsehautmoment! Mit der Startnummer 95 werde ich als einer der Letzten aufgerufen. Wenige Sekunden bis zum Start! Während die Favoriten schon unter dem Startbogen mit den Hufen scharren, habe ich Mühe und Not in den Startbereich zu kommen. Eine wahre Zwergentraube hat sich vor mir aufgebaut: Die Kinder halten selbst gebastelte Flaggen, Bilder und T-Shirts entgegen und wollen auch von mir unbedingt noch ein Autogramm haben, wie von den anderen 94 StarterInnen zuvor . Spätestens jetzt weiß ich, dass ich genau richtig bin bei diesem Event!“
MARIO HOFF
Mit dem Slogan „The Wildest Adventure“ wirbt das Event 360TheChallenge auf seinen Socialmedia-Kanälen für eine Anmeldung, womit ich mich natürlich schnell angefixt fühlte :). Unmittelbar nach der Registrierung folgte die nächste vollmundige Ansage, als mich der Organisator Arista Events herzlich willkommen hieß und ein „Life Changing Experience“ versprach. Ob das Rennen mein Leben verändern wird, kann ich ohne hellseherische Fähigkeiten freilich nicht sagen. Die wenigsten LeserInnen dürfte das auch interessieren, deshalb der Reihe nach…
360TheChallenge - Was mich bei diesem Abenteuer erwartete
Das Event bildet ein Nonstop-Race über 260km mit knapp 13000 zu überwindenden Höhenmetern. Der Start- Zielbereich befindet sich im wunderschönen und traditionellen Bergdorf Tejeda im Herzen von Gran Canaria. In meinen Augen das schönste Dorf der Insel mit guter Infrastruktur, aber ohne Touristen-Kitsch und Hotelkomplexe, wo man herrliche Sonnenuntergänge mit Blick auf den Roque Nublo – das Wahrzeichen der Insel – erleben kann.
Die 360TheChallenge wird in großer Autonomie mit lediglich 5 Verpflegungsstationen gelaufen. Erlaubt ist es, unterwegs auch die örtlichen Geschäfte, Bars und Tankstellen zu nutzen, wie man es aus der Bikepackingszene kennt. Ob solche Läden in den abgelegen Inselregionen überhaupt existieren, ob sie auch geöffnet haben oder vielleicht gerade Siesta herrscht, kann man jedoch als Fremder kaum planen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Strecke jedes Jahr neu gestaltet und bis 10 Tage vor dem Start geheim gehalten wird. Sich an Berichten aus den Vorjahren zu orientieren, bringt die Planung also auch kaum weiter.
Als ich den GPX-Track endlich bekam, habe ich schnell aufgegeben, Kioske/ Bars etc. auf der Outdoor-App ausfindig zu machen. Zwar ist auf dem Track ersichtlich, dass einige Ortschaft passiert werden, wo es eventuell Einkehrmöglichkeiten gibt, aber wer kann schon planen, zu welcher Uhrzeit man nach beispielsweise 200km dort vorbei kommt? Es blieb also nichts weiter übrig, dieses Mysterium zu akzeptieren und für die teils 50km langen Abschnitte zwischen den Verpflegungspunkten genügend Wasser einzupacken. Da es im November nach der Sommerhitze ausgeschlossen erschien, natürliche Wasserquellen zu finden, kamen dann schnell mal 4 Liter Wasser zusammen, die neben der Pflichtausrüstung auf das Rucksackgewicht drückten.
Weiterhin handelt es sich bei der Challenge um einen unmarkierten Kurs, auf dem man sich in Eigenregie orientieren muss und die Grundlagen der GPS-Navigation sowie des Karten- und Kompasslesens beherrschen sollte. Denn in den schluchtenartigen Barrancos versagt das GPS-Signal auch gerne mal (dazu später mehr).
Insgesamt 4 Tage hat man für diesen „Spaß“ Zeit, bevor einem der Cuttoff den Garaus macht.
Die Strecke - Unterwegs auf historischen Pfaden der Ureinwohner
Die Anforderungen der Strecke lassen sich am besten mit einem kleinen Auszug aus dem offiziellen Runners Guide zusammenfassen:
„As in all editions, the 360° Challenge Gran Canaria route runs along different paths with a great diversity of landscapes, botanical and ethnographic aspects.The route follows ancient paths that were once vital for communications, survival and economic development of the first inhabitants of the island. Thus, the runner will delve into the experience of the ancient Canarians, who travelled kilometres along cobbled paths, transporting the essential resources for daily life.
The Transgrancanaria 360° is a highly difficult race, in which the runner has a time limit of 101 hours to complete it, guided by the track, the cartography and the roadbook provided by the organisation.
The runner not only reauires excellent physical condition, but also specific technical and mental preparation. The runner will face moments of exhaustion and obstacles that will require a perfect balance between his physical condition and mental strength, as well as advanced knowledge of mountain techniques.“
Ein Event mit herzlicher und familiärer Stimmung
Zu erleben, wie viel Wert das Orga-Team von Arista auf einen herzlichen und persönlichen Kontakt zu allen 100 Teilnehmenden legt, war eine besonders schöne Erfahrung. Dies wurde schon kurz nach der Anmeldung deutlich, als alle LäuferInnen auf den Social Media-Kanälen mit einem Foto und einer wohlwollenden Begrüßung vorgestellt wurden.
Weiterhin sendete man mir schon zwei Tage vor dem Event eine Nachricht über Whatsapp, um sich zu erkundigen, ob ich gut auf Gran Canaria angekommen sei, oder ob ich noch Unterstützung brauchte. Ebenso nach dem Event schrieb Arista mich an um sich zu vergewissern, ob ich wohlbehalten in Deutschland angekommen bin. Kleine Gesten mit großer Wirkung, die den Unterschied zu den großen Mainstreamevents machen!
Um der Individualität aller LäuferInnen Ausdruck zu verleihen, wurden die Startnummern mit großen Namenszügen versehen und vor dem Rennen verewigte sich die Gemeinschaft der LäuferInnen handschriftlich auf einem riesigen Plakat.
Beim Briefing geht der "Kackstift"
Am Vorabend fand das obligatorische Racebriefing statt und mir wurde ziemlich mulmig, als ich realisierte, dass ich hier ein absolutes Greenhorn unter der Teilnehmerschaft war. Die meisten StarterInnen outeten sich als Wiederholungstäter, welche aus Begeisterung für das Event wiederkommen. Zudem hatte auch wirklich Jeder, mit dem ich mich unterhielt, schon eine beeindruckende Anzahl an 200- oder 300km-Events wie dem TOR, Swiss Peaks, Spine Race oder Grand Raid des Pyrenees etc. absolviert. Mit meiner bescheidenen Erfahrung eines 140km-Mittelgebirgsultras fühlte ich mich ziemlich auf verlorenen Posten.
Letztes Jahr hätte bei den extremen Bedingungen leider nur ein Viertel der StarterInnen die Ziellinie erreicht, verkündete der Veranstalter bei der Ansprache. „Man hoffe dieses Jahr, dass ein paar Leute mehr ins Ziel kommen“ :). Ein frommer Wunsch, der mir als Mutmacher noch gefehlt hat. Aber nun gut, es sollte eine Challenge werden. Und diese Challenge sollte ich nach all dem, was das Racebriefing versprach, auch bekommen!
Der Startschuss fällt - Challenge accepted!
Am Morgen des Startes machte sich große Nervosität breit, was sonst weniger zu meiner Natur zählt. Zig mal kontrollierte ich den Rucksack und schaute, ob ich auch alles von der Pflichtausrüstung eingepackt habe.
Über den Rucksack hinaus mussten 4 Dropbags mit persönlicher Ausrüstung gepackt werden, die zu 4 der 5 Verpflegungsstationen gebracht werden. Neben Wechselkleidung, Duschzeug, Zahnbürste, Energieriegeln und Gels sind meine Taschen vor allem mit Powerbank und Ersatzakkus für die Stirnlampe beladen, um dem Worst Case zu entgehen, dass in der dunklen Nacht die Stirnlampe oder die Navigation den Geist aufgibt. Eine wahre Materialschlacht!
Mit einem Kloß im Hals spaziere ich zum Dorfplatz in Tejeda, wo morgens um 8 schon reges Treiben herrscht. Unmittelbar vor dem Start, als ich tadellos durch die Kontrolle der Pflichtausrüstung kam, löste sich die Anspannung glücklicherweise und wandelte sich in Vorfreude. Einen großen Anteil daran hatte die örtliche Grundschule. Die Kinder ließen alle Ladesflaggen der 15 teilnehmenden Nationen wehen. Alle LäuferInnen wurden sodann persönlich über den einheizenden Kommentator vorgestellt und marschierten durch ein Spalier an Flaggen zur Startlinie. Schon jetzt ein absoluter Gänsehautmoment, wobei das Rennen nicht mal angefangen hatte.
Mit der Startnummer 95 wurde ich fast als letzter Läufer aufgerufen. Noch wenige Sekunden bis zum Start! Während die Favoriten unter dem Startbogen schon mit den Hufen scharrten, hatte ich meine liebe Mühe und Not zum Startbereich zu kommen. Eine wahre Zwergentraube hatte sich vor mir aufgebaut: Die Kinder hielten selbst gebastelte Flaggen, Bilder und T-Shirts entgegen und wollten auch von mir unbedingt noch ein Autogramm haben, wie von allen StarterInnen vor mir. Spätestens jetzt wusste ich, dass ich genau richtig bin bei diesem Event!
Der Stadionsprecher brüllte „Vamos vamos – get to the Startline“, bis der Race-Director die Kinder hektisch zur Seite bat und mir ein Durchkommen ermöglichte. So schaffte ich es gerade noch pünktlich zum Startschuss und lief als Letzter unter dem Applaus der Dorfbewohner, Freunde und Familien los.
75-Stunden im Zeitraffer
Was wir unterwegs erlebt haben, ist schwer zu beschreiben, ohne die LeserInnen mit endlosen Ausführungen zu langweilen. Ich möchte deshalb auf die wesentlichen Erlebnisse eingehen:
Die 360TheChallenge war ein Rennen der absoluten Gegensätze, genauso abwechslungsreich wie die atemberaubende Landschaft auf Gran Canaria mit ihren verschiedenen Vegetationszonen.
So liefen wir durch den wüstenartigen Süden, nichts als Steine und Staub. Ich habe diesen Abschnitt verflucht. Ein zermürbendes Terrain, das mich mental an meine Grenzen brachte, zumal ich diesen Abschnitt in der Mittagshitze bewältigen musste.
An der Grenze zum Norden begrüßte uns hingegen eine üppige und liebliche Vegetation. Ein plötzlicher Wechsel wie im Bilderbuch: Riesige Kakteen, Schatten spendenden Wälder mit Kiefern, vereinzelt auch große Drachenbäume, Wolfsmilchgewächse und sonstige eigenartige Pflanzen. Ein Zauber für die Augen!
Gegensätzlich präsentierten sich auch die Wetterkapriolen: Gefühlte Gluthitze in den schluchtenartigen Barrancos (Canyons), Starkregen in der Nacht und kalter Wind auf den Gebirgspässen, der einem alles aus den Knochen zog. Zitternd vor Kälte stand ich in der ersten Nacht an einem Verpflegungspunkt, nachdem ein sintflutartiger Wolkenbruch auf uns niederging. Jetzt wusste ich, wofür ich meine ganze Pflichtausrüstung samt Rettungsdecke brauchte, wo man auf dieser Sonneninsel doch eigentlich von einem Schönwetterevent ausgeht und über die lästig scheinende Ausrüstung spottet.
Ebenso begleitete uns ein stetiger Wechsel der Tageszeiten: Sonnige Tage gingen über in Vollmond-Nächte mit 12 Stunden Dunkelheit. Immer begleitet von grandiosen Sonnenaufgangs- und Untergangsszenarien.
Die 360TheChallenge war nicht nur in puncto Wetter und Landschaft ein Erlebnis der Extreme. Ebenso in der Gefühlswelt: Zwischen Euphorie, Faszination und Hoffnung auf der einen – und wiederkehrenden Krisen auf der anderen Seite. Verzweifelte Momente in der übermüdeten Nacht. Allein mit deinen Gedanken, wenn du mal wieder die Navigation verloren und sprichwörtlich am dunklen Abgrund einen Canyons gestanden hast, statt auf dem ersehnten Pfad! In diesen Situation half es nichts weiter, als deine Ängste bei Seite zu schieben, die Nerven zu behalten und die Morgendämmerung herbei zu sehnen.
So oft man sich auch verloren fühlte und gegen das Aufgeben kämpfte, so oft konnte ich auch wieder zurückkommen und schließlich nach 75 Stunden mit einer emotionalen Achterbahnfahrt die Ziellinie queren. Ein Moment von großem Stolz, die Strapazen überwunden zu haben. Vor allem aber auch von großer Dankbarkeit für all die schönen Erfahrungen. Allen voran für die herzlichen Menschen, die uns die Energie der Insel haben spüren lassen. Die uns am Streckenrand applaudiert und an den Verpflegungspunkten mit einem netten Wort und einer warmen Mahlzeit unterstützt haben. Auch für die MitstreiterInnen, mit denen man immer wieder Teile der Strecke gemeinsam absolviert hatte. Dankbarkeit für die gegenseitige Motivation und das Erlebnis, dass hier nicht gegeneinander gelaufen wurde, sondern miteinander. Es waren alle diese schönen Momente, die uns letztendlich über 260km bis zum Ziel getragen haben.
Die Strecke hatte dabei Alles zu bieten und präsentierte sich ebenso vielfältig, wie die Insel: Steile Anstiege, welche die Oberschenkel zum brennen -und rasante Downhills, welche die Socken zu qualmen brachten. Wegloses Gelände, extrem technische Trails, Kampf durchs Unterholz in den Barrancos und ebenso wunderschöne Flowtrails. In der offiziellen Streckenbeschreibung wurde erwähnt, dass die Route über uralte und historische Wege verläuft. Was ich zweifelsohne glaube, denn viele dieser Trails sahen auch genauso aus, als wäre hier seit den Ureinwohnern niemand mehr unterwegs gewesen :). So hat uns die 360TheChallenge in abgelegene Winkel der Insel geführt, die wahrscheinlich kaum Einheimische kennen.
Es gab auf dieser ausgedehnten Route natürlich auch immer wieder einfachere Passsagen, wo man es theoretisch ganz gut „rollen lassen“ konnte. Also Forstwege, Nebenstraßen und Staubpisten. Theoretisch im dem Sinne, wenn die Beine noch mitgespielt hätten und nicht schon komplett geschrottet gewesen wären. Und wenn der schwere Rucksack ein etwas leichtfüßigeres Laufen ermöglicht hätte.
Aber Bilder sagen mehr als tausend Worte. Deshalb folgt hiermit eine kleine Bildergalerie – mit freundlicher Genehmigung des professionellen Fotografen Ian Coreless – bekannt wie ein bunter Hund in der Szene.
Eine große Auswahl von Bildern (über 700!) wurde übrigens kostenfrei vom Veranstalter zur Verfügung gestellt.
Ein herzlicher Dank an das Arista-Team und die ehrenamtlichen Helfer
Wie immer stehen hauptsächlich die Leistungen der LäuferInnen im Vordergrund des Geschehens. Aber auch das Organisationsteam und die ehrenamtlichen HelferInnen hatten tagelang Schwerstarbeit zu leisten. Mussten Tag und Nacht auf den Beinen bleiben, gegen Schlafentzug kämpfen, das Geschehen überwachen, den Überblick behalten und in allen Situationen ihre Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit gegenüber den Teilnehmenden wahren. Das ist den Canarios auf eine herzliche Art und Weise gelungen, die mich sehr fasziniert hat. Deshalb steht an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an das Team von Arista Events und Alle, die bei der 360TheChallenge mitgeholfen haben.
Nach dem Event ist vor dem Event:
360TheChallenge in 2025
Ich bin normalerweise kein Sportler, der jedes Jahr zu den gleichen Events reist, sondern schaue bevorzugt nach neuen Herausforderungen. Mein Erlebnis bei der 360TheChallenge hat mich jedoch tief beeindruckt. Das Event hat eine ganz spezielle Faszination und Magie ausgestrahlt, die ich in all den Jahren Trailrunning-Sport so noch nicht mitgenommen habe. Man kann es schwer in Worte fassen, aber man versteht hier schnell, warum so viele WiederholungstäterInnen auf der Startliste stehen und in Tejeda fast schon traditionell ihre Schuhe schnüren.
Um den Bogen abschließend zum Beginn meines Berichts zu spannen: War es ein Life-Changing-Erlebnis? Ich halte wenig von solchen Aussagen. Trotzdem wusste ich im ersten Moment des Überschreitens der Ziellinie, dass auch ich wiederkommen möchte, um dieses besondere Erlebnis zu wiederholen. Sollte die Gesundheit und Fitness es zulassen, werde ich mein Ticket auch für 2025 buchen. Wenn ihr euch von dem Bericht und der 360Challenge angesprochen fühlt, so würde ich mich sehr freuen, wenn sich mehr LäuferInnen aus dem DACH-Raum zu diesem Abenteuer auf Gran Canaria aufmachen würden. Meldet euch gerne über die Socialmedia-Kanäle von Trailrunning24 oder schreibt eine Mail an mario@trailrunning24.de, wenn ihr interessiert seid, gemeinschaftlich teilzunehmen.
Hinweis: Die Website der 360TheChallenge ist relativ einfach gehalten und die Infos sind überschaubar. Wenn ihr euch ein umfassendes Bild machen möchtet, so besucht am besten den bestens gepflegten Insta-Account.
Weiter unten findet ihr auch das offizielle Eventvideo aus dem Jahr 2023.
By the way: Sollten euch unsere Eventreportagen gefallen und möchtet mehr davon lesen, so empfehle ich auch Michis Bericht zu seiner Teilnahme beim UTMB „Serra de Tramuntana“ auf Mallorca.